Aus "Kunde ist König" wird "Kunde ist Kaiser"

 
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Kundenzufriedenheit alleine genügt heute nicht mehr, damit die Kunden einem Unternehmen gegenüber loyal bleiben. Die Kunden erwarten mit dem Kauf einer Dienstleistung oder eines Produktes zufrieden zu sein. Erfüllt ein Unternehmen diese Erwartungen, sind die Kunden höchstens nicht unzufrieden. Für einen langfristigen ökonomischen Erfolg brauchen Unternehmen heutzutage begeisterte Kunden. Kunden sind nicht loyal, wenn sie lediglich zufrieden sind. Sie werden erst loyal, wenn sie begeistert sind von dem gekauften Produkt, der Dienstleistung oder dem Unternehmen als Ganzes. Durch Kundenbegeisterung kann das Überleben des Unternehmens dauerhaft gesichert werden.

Wo liegt der Unterschied zwischen der Kundenzufriedenheit und der Kundenbegeisterung?

Zufriedene Kunden erhalten eine vereinbarte Basisleistung, welche ihre Erwartungen erfüllt. Die Kunden sind erst begeistert, wenn sie etwas erhalten, was ihre Erwartungen übertrifft und nicht erwartet haben. Ist der Kunde begeistert, entsteht eine freiwillige Bindung zwischen dem Kunden und dem Unternehmen: die Loyalität. Bei begeisterten Kunden verdoppelt sich die Wiederverkaufsrate. Ausserdem empfiehlt ein begeisterter Kunde das Unternehmen viel eher weiter und akquiriert somit Neukunden.

Kundenbegeisterung ist längst kein neues Thema mehr. Für 81% von Kundenmanagern gehört das Erreichen der Kundenbegeisterung zu einem der drei wichtigsten unternehmerischen Strategien. An der Umsetzung hapert es aber. Lediglich 9.2% der befragten Manager glauben zu wissen, wie sie ihre Kunden sehr gut begeistern können. Das Problem liegt offensichtlich nicht im fehlenden Wissen über die Kundenbegeisterung, sondern darin, dass Unternehmen nicht wissen, was ihre Kunden begeistert. Dies zeigt eine Trendstudie aus dem 2014. 

Der Weg zur Kundenbegeisterung zeigt uns die Wissenschaft

Wie Kundenbegeisterung entsteht, verrät uns die Wissenschaft. Zwei von acht Faktoren sind in einer Studie von 
Gouthier mit 50% gewichtet. Diese zwei Begeisterungsauslöser sind die Fachkompetenzen und das Engagement sowie die Sozialkompetenzen der Mitarbeitenden. Ein proaktiver, wertschätzender und kompetenter Mitarbeiter, welcher sich für den Kunden überdurchschnittlich engagiert und mitdenkt, kann den Kunden begeistern.

Die folgenden Punkte sind weniger stark gewichtet, machen aber die anderen 50% aus, weshalb sich ein Kunde begeistern lässt: Innovationen, Beschwerdemanagement, Marketingaktivitäten, zeitbezogene Aspekte, unerwarteter Mehrwert, Gesamtleistung. Eine überraschende Einladung an einen exklusiven Event, die zeitnahe Erfüllung von Kundenbedürfnissen oder ein unerwarteter Mehrwert in Form von einem Geschenk können Kundenbegeisterung auslösen. Hier sind vor allem die Individualität und die persönlichen Bedürfnisse des Kunden gefragt. Fühlt sich ein Kunde individuell behandelt, ist er viel eher an das Unternehmen gebunden, als wenn es sich um eine Standardbetreuung handelt. 

Zu dieser Thematik gibt es in der Wissenschaft ein Modell von Kano, welches den Zusammenhang zwischen den Kundenerwartungen und der Kundenzufriedenheit beschreibt. Dieser Zusammenhang wird anhand drei verschiedenen Dimensionen beschrieben: Basisanforderungen, Leistungsanforderungen und Begeisterungsanforderungen. Die Pünktlichkeit des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz (SBB) ist beispielsweise eine Basisanforderung, welche Kunden beim Kauf des Produktes bzw. der Dienstleistung voraussetzen. Mit pünktlichen Zügen kann die SBB ihre Kunden nicht begeistern und sollte daher auch nicht mit ihren Basisanforderungen werben. Kundenzufriedenheit kann mit einer weiteren Dimension, den Leistungsanforderungen, erreicht werden, in dem ein Unternehmen Eigenschaften und Services anbietet, die nicht selbstverständlich sind, aber vom Kunden gewünscht werden. Erst die dritte Dimension, die Begeisterungsanforderungen, kann zur Kundenbegeisterung führen. Es handelt sich dabei um nutzenstiftende Merkmale, mit welchen der Kunde nicht rechnet. Diese führen zu einer überproportionalen Zufriedenheit.

Wo ist aber die Grenze nach oben?

Eine Fachhochschule in der Deutschschweiz setzt die Erkenntnisse der Wissenschaft um, und möchte ihre Studenten begeistern. Den MBA-Studenten wird bei jedem Kurstag ein Büffet an verschiedenen Früchten, süßen und salzigen Snacks, verschiedenen kalten und warmen Getränken angeboten. Es wird auf die persönlichen Bedürfnisse eingegangen, indem eine Liste geführt wird, was die einzelnen Studenten für Präferenzen haben (vegan, Laktoseintoleranz etc.). Der ausgegangene Lieblingstee wird sofort nachgeliefert, ein zuhause vergessener Schreibblock gleich für die Studenten besorgt. Mehrmals pro Tag geht ein Mitarbeiter der Fachhochschule vorbei, um auf aufgekommene Fragen oder Bedürfnisse zeitnah reagieren zu können. Der Studiengang wird an den wichtigsten Anlässen dokumentiert und zum Abschluss erhält jeder Student ein Fotoalbum als Geschenk zur Erinnerung an die Studienzeit. 

Zu Beginn kann all dies zur Kundenbegeisterung beitragen, weil die Studenten nicht damit rechnen. Die Messlatte steigt jedoch an. Nach einigen Wochen ist dies keine Überraschung mehr, sondern wird zu einer Erwartung. Fehlt beispielsweise an einem Kurstag mal eine Frucht, kann das vereinzelte Studenten enttäuschen. Werden Begeisterungsanforderungen wie im Kano-Modell beschrieben bald zu Basisanforderungen?

Ein weiteres Beispiel aus China zeigt in diese Richtung. Die Dienstleistungskultur in China ist in vielen Fällen infolge niedrigerer Personalkosten etwas ausgeprägter als in der Schweiz. Wenn in einem Privathaushalt eine Waschmaschine eine Störung anzeigt, kommt noch am gleichen Tag ein Servicetechniker vorbei, um die Maschine kostenlos zu reparieren. Die meisten Unternehmen in China haben ein Profil bei WeChat (chinesische Version vom Instant-Messaging-Dienst), um rund um die Uhr erreichbar zu sein. Auf eine Frage auf WeChat wird auch an einem Sonntag um 3 Uhr morgens geantwortet. Was in der Schweiz vielleicht noch als Begeisterungsfaktor gelten würde, ist in China bereits zu einer Basisanforderung geworden. Die chinesischen Kunden erwarten in der Zwischenzeit einen durchgehenden, kostenlosen Service, denn sie haben den bereits mit dem Erwerb des Produkts oder der Dienstleistung mitgekauft. 

Wie sieht die Kundenbegeisterung der Zukunft aus?

Es scheint in den beiden Beispielen, dass aus Begeisterungsanforderungen Basisanforderungen werden. Was Kunden zu Beginn begeistert, kann zu einer Erwartung werden. Wenn die Erwartung nicht erfüllt wird, führt dies zur Unzufriedenheit. 

Ich frage mich: Hält die Begeisterung dennoch an, weil die Studenten im Falle der erwähnten Fachhochschule diesen Service sonst nirgendwo finden? Wie kann ein Waschmaschinenbesitzer in China bei so einem hochklassigen und reibungslosen Service noch begeistert werden? 

Was kommt nach der Kundenbegeisterung? Was auch immer die Kunden heute begeistert, kann morgen bereits zur Standarderwartung gehören. Kunden möchten immer wieder aufs Neue überrascht und begeistert werden.

Wenn der Kunde vom König zum Kaiser geworden ist. Was ist dann die nächste Stufe?

Ich glaube nicht, dass uns die Ideen, wie wir unsere Kunden begeistern können, ausgehen werden. Innovative Ideen wird es immer geben. Was mich beschäftigt ist, dass die Summe der Basisanforderungen immer grösser zu werden scheint. Wie können Unternehmen mit diesen immer steigenden Basisanforderungen mithalten?

Was mich aber beruhigt ist Folgendes: Es gibt kein Unternehmen, welches bei allen Leistungsmerkmalen in Sachen Kundenbegeisterung alles mit Topwerten erreichen kann. Genau in dieser Unvollkommenheit liegt auch die Chance für die Unternehmen. Sie können sich auf gewisse Leistungen spezialisieren und so von ihren Konkurrenten abheben. Nur so ist es möglich, mehr zu bieten als die Mitbewerber. Es wird immer ein Spannungsfeld zwischen dem Gewünschten, dem Machbaren und Bezahlbaren sein.

Vertiefungsliteratur

Gouthier M. (2013). Kundenbegeisterung durch Service Excellence. 2. Auflage, Beuthverlag. 

 

Kano, N., Seraku, N., Takahashi, F., Tsuji, S. (1984). Attractive quality and must-be quality. Journal of the Japanese Society for Quality Control, 14, 39–48.

 

Lünendonk GmbH/Center for Service Excellence (2014): Kundenbegeisterung: Service Excellence im Markt der Facility Services, Kaufbeuren. 

 

Prandini, M., Lehmann, R., Blumer, H., Keller, J. (2017). Industrielle After Sales Services in China: Rahmenbedingungen, Geschäftsmodelle, Analyse, Empfehlungen. Springer. Wiesbaden.

Jacqueline Keller